Alte und Neue Archive – Sammlungen im postdigitalen Zeitalter

Alte und Neue Archive – Sammlungen im postdigitalen Zeitalter

Organisatoren
Department für Kunst- und Kulturwissenschaften, Donau-Universität Krems; Institut für Österreichkunde, Wien
Ort
digital (Krems)
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.12.2021 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Robert Neiser, Department für Kunst- und Kulturwissenschaften, Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems

Im Fokus des Online-Symposiums stand die Digitalisierung als Chance und Herausforderung für Archive und Sammlungen. Es handelte sich um die zweite Veranstaltung in der Reihe „Digitales Museum“ des Department für Kunst- und Kulturwissenschaften (DKK), initiiert durch Anja Grebe, sowie die 70. Historikertagung des Instituts für Österreichkunde (IÖK), vertreten durch seinen Vorsitzenden und Leiter des Arbeitskreises für Geschichte, Ernst Bruckmüller. Beide führten in die Veranstaltung ein und thematisierten die Digitalisierung der Archive als Unterstützung für die Forschung, aber auch Herausforderung für all jene, die Archivalien erschließen, erforschen, vermitteln und mit ihnen auf vielfältige Art und Weise arbeiten.

Diese Ausgangslage spiegelte sich im ersten Beitrag von SUSANNE FRÖHLICH (Österreichisches Staatsarchiv Wien) wider. Fröhlich sprach über den Nutzen digitaler Strategien und den Stand der Umsetzung in ihrem Haus. Ihr Beitrag veranschaulichte, wie die digitalen Technologien in Archiven genutzt werden können, um etwa gefährdete Archivalien zu bewahren oder auch um beschädigtes Material wiederherzustellen. Auf der anderen Seite müssten Archive sich mit den Fragen der Haltbarkeit der Digitalisate befassen, was neues Know-how erfordere sowie technische und personelle Ressourcen. Allerdings sei die Digitalisierung für das Staatsarchiv keine neue Erscheinung, vielmehr befassten sich Archive bereits seit den 1980er-Jahren mit den Herausforderungen des Digitalen. Fröhlich sprach weiters über die „Ökonomie des Bewahrens“ und machte dabei deutlich, dass Einrichtungen bzw. deren Träger nicht mit einer Ersparnis durch die Digitalisierung rechnen dürften. Digitale Strategien führten erst langfristig zu Kostenreduktionen – falls überhaupt. Die Entwicklung und Implementierung digitaler Strategien seien aufwendig und man solle dafür ausreichend Zeit und Ressourcen einplanen, denn dann zahlten sie sich langfristig tatsächlich aus. Mit der Covid-19-Pandemie habe außerdem das Nutzer:innen-Management im Internet an Bedeutung gewonnen. Hier liege bereits jetzt auch der große Vorteil der Digitalisierung: Indem man Archivalien als Digitalisate zugänglich macht, können die unikalen Originale geschont werden.

Im zweiten Beitrag des Symposiums widmete sich NICOLE HIGH-STESKAL (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) nachhaltigen Sammlungsdatenbanken. High-Steskal konnte nicht nur Quellen aus den späten 1960er-Jahren anführen, die eine sehr frühe Befassung von musealen Sammlungen und Archiven mit digitalen Technologien belegen (eine Kooperation des Getty Museums mit IBM). Darin wird zumindest implizit auch das Thema der Nachhaltigkeit berührt, das im letzten Jahrzehnt wieder verstärkt ins Zentrum der Debatte gerückt ist. Wie müssen Sammlungsdatenbanken gestaltet sein, um den aktuellen Anforderungen der Nutzung und Forschung gerecht zu werden und nachhaltig zu sein? Welche Rahmenbedingungen braucht es dafür? Das konnte High-Steskal an zahlreichen Beispielen veranschaulichen. Das Nachdenken über die Entwicklungsmöglichkeiten der Sammlungsdatenbanken dürfe, so High-Steskal, aber nicht bloß technologische und infrastrukturelle Fragen einschließen, sondern ganz dezidiert auch politische: Es gehe hierbei um Auswahl und Zugänglichmachung von historischen Objekten und Dokumenten, die Bestandteile der Identitäten heutiger Gesellschaften sind, sowie um ethische Fragen. High-Steskal verwies dabei auch auf die Lund-Prinzipien vom April 2001 (European Content in Global Networks Coordination Mechanisms for Digitisation Programmes). Diesen sei der Aktionsplan eEurope gefolgt. In Österreich habe man die Lund-Prinzipien 2001/02 rasch mit der Initiative „eFit Austria“ um- bzw. fortgesetzt. Die Europäische Kommission bestätigte 2005 die Lund-Prinzipien und erkannte die Digitalisierung des kulturellen und wissenschaftlichen Erbes als strategisch bedeutsam an. High-Steskals Beitrag ging aber über die Rekonstruktion der politischen Initiativen weit hinaus, indem sie diese mit den konkreten Umsetzungen in Museen, Archiven und Sammlungen abglich. Dies schloss die Konzeption von Datenbanken ein, wobei High-Steskal auf das Problem aufmerksam machte, dass Datenbanklösungen häufig nicht für alle Sammlungsbereiche bzw. Objektgruppen gleichermaßen geeignet erscheinen. Daher sei die Beschäftigung mit der Geschichte einer Datenbank und eine entsprechende Transparenz von Seiten der Institutionen wichtig. Ähnlich wie auch Fröhlich kam High-Steskal zu dem Schluss, dass für Sammlungen vermehrt die Orientierung am Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer relevant wird. Das neue Bewusstsein sei nicht zuletzt durch die Erfahrungen während der Corona-Pandemie geschärft worden.

EVA MAYR (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) und FLORIAN WINDHAGER (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) boten Einblicke in die Möglichkeiten der Visualisierungen und des Visual-Storytelling, um Sammlungsbestände für Nutzerinnen und Nutzer zugänglich zu machen. Beide Techniken oder Methoden ließen sich insbesondere dazu nutzen, große Bestände so aufzubereiten, dass sie auch am Computerbildschirm oder Museums-Screen anschaulich – geradezu räumlich – dargestellt werden können. Insbesondere Archive, deren Bestände üblicherweise nicht in gleicher Weise wie jene von Museen zugänglich sind, hätten mittels Visualisierungen und Visual-Storytelling neue Möglichkeiten, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mayrs und Windhagers Forschungsarbeiten an der Universität für Weiterbildung finden in Kooperation mit Museen und Sammlungen im In- und europäischen Ausland statt. Sie konnten daher auch Einblicke in konkrete Visualisierungsprojekte liefern. Wie etwa die Projekte in Kooperation mit den Landessammlungen Niederösterreich1 oder den Salzburger Regionalmuseen zeigen, verbinden sich Grundlagenforschung und praxisbezogene Anwendung von Wissenschaft mit dem Ziel, neue Zugänge zu Sammlungen und mit ihnen verbundenen Daten zu schaffen und diese auch für ein Nicht-Fachpublikum zu erschließen.

Als nächstes stellte MARTINA KALSER-GRUBER (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) das Digitalisierungsprojekt „Cerha Online“ vor. Der Vorlass des österreichischen Komponisten Friedrich Cerha, welcher am Archiv der Zeitgenossen von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen der UWK betreut wird, wurde mittels eines FTI-Digitalisierungsprojekts in Kooperation mit der Universität Siegen (D) digital aufbereitet und ist seit 15. Dezember für die Öffentlichkeit zugänglich2. Die graphische Gestaltung und das Leitsystem der Website folgen dabei handschriftlichen Kompositionsgrafiken des Komponisten.

MARTIN HALTRICH (Stiftsbibliothek Klosterneuburg) sprach über den Wandel alter Kloster- und Stiftssammlungen, welche nun seit einigen Jahren schon mittels Digitalisierung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Konkret konnte Haltrich vom Stand der Digitalisierung (30.000 Objekte) der stiftseigenen Bestände in Klosterneuburg berichten – der größten noch heute bestehenden mittelalterlichen Bibliothek des lateinischen Westens, wie Haltrich hervorhob. Das Stift verfolge dabei die Grundsätze „Erhalten, Erforschen, Vermitteln“. So stelle sich das Stift bewusst dem Auftrag, die eigenen Bestände der Forschung zugänglich zu machen. Dies erfolge nicht nur durch eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Stift sei auch ein Ort, an dem mittels Stipendien Forschende an ihren Dissertationen über den Sammlungsbestand arbeiten. Dafür verfüge das Stift auch über ein Netzwerk an nationalen und internationalen Kooperationspartnern. Beispielhaft für die Kooperation mit der UWK und weiteren Partnern nannte Haltrich das Projekt „Klostermusiksammlungen“, dessen Ergebnisse dauerhaft über die Projektwebsite3 abrufbar sind. Haltrich berichtete auch von den Erfolgen bei der Wiederherstellung und Zuordnung beschädigter und unvollständiger Dokumente durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. In diesem Zusammenhang bestätigte Haltrich auch die Position Bruckmüllers, dass die Digitalisierung die Forschung nicht ersetze, sie aber sehr wohl erleichtern könne.

Der letzte Fachbeitrag wurde von HEIDRUN ROSENBERG (Universität Wien / Universität Düsseldorf) und NICOLE ALBER (Kunstuniversität Linz) gestaltet. In ihrem Vortrag widmeten sie sich der Online-Enzyklopädie Wikipedia. Wo steht die Enzyklopädie heute und innerhalb der Wissensgeschichte? Folglich spannten die Forscherinnen den Bogen weit zurück in die Geschichte des Wissens, darunter auch der Bezug auf die berühmte Encyclopédie von Diderot und D’Alembert. Auch wenn Wikipedia aus dem Alltag vieler Forscherinnen und Forscher kaum noch wegzudenken sei, fände kaum eine Auseinandersetzung mit der Plattform statt, so die Vortragenden. Außerdem sinke die Zahl der Autorinnen und Autoren, die sich an der offenen und gemeinfreien Enzyklopädie beteiligten. Konsequenter Weise sprachen Rosenberg und Alber nicht nur aus der Sicht der Forschenden über Wikipedia, sondern berichteten auch über ihre Arbeit beim Edit-a-thon „Female Art Historians in Blue“, im Rahmen dessen Einträge zu Kunsthistorikerinnen kollektiv erstellt bzw. überarbeitet werden, um diese von der Wissenschaftsgeschichte häufig vergessenen Biographien wieder ins Bewusstsein zu rücken. Erfreulicherweise fand die Veranstaltung auch Anklang in der österreichischen und deutschen Wikipedia-Gemeinde, die mit mehreren Teilnehmer:innen im Publikum vertreten waren und sich rege an der Diskussion beteiligten. „Der Diskurs über Wissen, das der Zukunft erhalten bleiben soll, zieht lebhafte Kommunikation aus verschiedenen sozialen Gruppen auf sich“, so beide Wissenschaftlerinnen. Das Symposium „Alte und Neue Archive“ konnte das lebhaft unter Beweis stellen. So fielen auch die Schlussworte von Bruckmüller und Grebe entschieden positiv aus. Die Veranstaltungsreihe „Digitales Museum“ wird im Frühjahr 2022 fortgesetzt.

Konferenzübersicht:

Anja Grebe (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) / Eva Maria Stöckler (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) / Ernst Bruckmüller (Institut für Österreichkunde, Akademie der Wissenschaft): Begrüßung und Einführung

Sektion I – Ökonomie des Bewahrens

Susanne Fröhlich (Österreichisches Staatsarchiv, Referat Digitales Archiv und IT-Services): Digitale Strategien im Österreichischen Staatsarchiv

Nicole High-Steskal (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems): Historische Betrachtungen zur Konzeption von nachhaltigen Sammlungsdatenbanken

Sektion II – Partizipation & Vernetzung

Eva Mayr (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems) / Florian Windhager (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems): Es war einmal ein Archiv. Strategien der Narrativierung und Visualisierung

Martina Kalser-Gruber (Universität für Weiterbildung / Donau-Universität Krems): „Cerha Online“ – an der Schnittstelle von Archivalik, Forschung und digitaler Vermittlung

Sektion III – Wissenskulturen

Martin Haltrich (Stift Klosterneuburg, Stiftsbibliothek): Vom Weltwissen zum weltweiten Wissen. Strategien und Improvisationen in der Digitalisierung historischer Privatsammlung

Heidrun Rosenberg (Universität Wien / Universität Düsseldorf) / Nicole Alber (Kunstuniversität Linz): Arbeiten am kollektiven Gedächtnis: Kunstwissenschaft trifft Wikipedia. Ein Bericht

Anmerkungen:
1https://www.landessammlungen-noe.at (15.02.2022)
2https://cerha-online.com (15.02.2022)
3https://klostermusiksammlungen.at/ (15.02.2022)

Kontakt

Univ.-Prof. Dr. Anja Grebe
Department für Kunst- und Kulturwissenschaften
Donau-Universität Krems
Tel. +43 (0)2732 893-2566
anja.grebe@donau-uni.ac.at
https://www.donau-uni.ac.at/dkk